Stille Zeugen der NS-Diktatur | Wochenblatt für Landwirtschaft & Landleben

2022-09-16 21:06:34 By :

Prangen Sprüche oder Symbole aus der Zeit der NS-Diktatur an Häusern, macht sich Unsicherheit breit. Der Umgang mit der deutschen Geschichte polarisiert. Wir haben uns auf Spurensuche begeben.

Die Naziglocke im pfälzischen Herxheim am Berg misst im Durchmesser 72 cm und wiegt rund 240 kg. Sie trägt die Inschrift: „Alles für’s Vaterland Adolf Hitler“ und ein Hakenkreuz. (Bildquelle: imago/epd)

Wer durch die Soester Innenstadt bummelt, dem fällt möglicherweise das „Haus am Kuhfuß“ am Markt auf. Doch die Besonderheit, die den Balken ziert, nehmen nur Wenige wahr.Das Hakenkreuz entsteht … In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1940 flogen britische Einheiten Angriffe auf die Stadt Soest. Mit Brandbomben zerstörten sie unter anderem das Haus an der Marktstraße 7. Trotz der Kriegswirren ­gelang es dem dort ansässigen Geschäftsmann Heinz Husemeyer, das Haus binnen eines Jahres wieder aufzubauen. Ob es auch seine Idee war, ein goldenes Hakenkreuz in die Mitte des Balkenfrieses zu schnitzen, ist nicht ausreichend belegt. Es ist nur bekannt, dass der Künstler Fritz Viegener (1888–1976) vom Möhnesee die Propaganda-Verzierungen anfertigte. An der kurzen Seite des Hauses ist außerdem eine Teufelsfratze zu sehen. Sie soll den britischen Premierminister Winston Churchill symbolisieren. „Aus seinem Munde qualmt die Flamme des Giftes und der Zerstörung. Sie ist gleichsam der Befehl für die britischen Flugzeuge, die wir über den Kanal fliegen sehen. Das Feuer ist durch einen gierigen Drachen dargestellt“, wie es 1941 im NS-gleichgeschalteten Soester-Anzeiger heißt. Der Schriftsteller Erwin Sylvanus nennt es in dem Beitrag weiter „ein Dokument […] unseres Aufbauwillens gegen die kul­turzerstörenden Kräfte Englands“.… und wird übermalt Das Hakenkreuz überstand nach der Kapitulation Deutschlands auch die Direktive Nr. 30 von 1946. Diese sah unter anderem vor, dass NS-Symbole entfernt werden mussten, es sei denn, sie waren von großer architektonischer Bedeutung.Als Haus Kuhfuß 1992 einen neuen Anstrich bekam, entschied man, das Hakenkreuz zwar bestehen zu lassen, es aber nicht wieder zu vergolden. Rund zehn Jahre später sollte das Haus erneut gestrichen werden – dieses Mal allerdings originalgetreu. Fortan prangte das NS-Symbol wieder golden am Balken. Und damit begannen emotionale Diskussionen über die Zukunft des Zeichens. Schlussendlich einigten sich die Streitparteien: Das Hakenkreuz solle bleiben, aber wieder dunkel gestrichen werden. Solche Schnitzereien wie im Balkenfries des Geschäftshauses in Soest sind kein Einzelfall. Vielerorts finden sich solch stille Zeugen des Nationalsozialismus – auf Wänden und an Giebeln, aber auch auf alten Möbeln.Blumen übers Hakenkreuz Noch heute steht der Spruch der Hitlerjugend „Wir Jungen haben die Aufgabe, neue Wege zu suchen und zu bahnen, und den Mut, sie zu gehen“ am Ballhof in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover. Der Vorplatz des Hauses war zu Zeiten Hitlers Bühne der...

Wer durch die Soester Innenstadt bummelt, dem fällt möglicherweise das „Haus am Kuhfuß“ am Markt auf. Doch die Besonderheit, die den Balken ziert, nehmen nur Wenige wahr.

In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1940 flogen britische Einheiten Angriffe auf die Stadt Soest. Mit Brandbomben zerstörten sie unter anderem das Haus an der Marktstraße 7. Trotz der Kriegswirren ­gelang es dem dort ansässigen Geschäftsmann Heinz Husemeyer, das Haus binnen eines Jahres wieder aufzubauen. Ob es auch seine Idee war, ein goldenes Hakenkreuz in die Mitte des Balkenfrieses zu schnitzen, ist nicht ausreichend belegt. Es ist nur bekannt, dass der Künstler Fritz Viegener (1888–1976) vom Möhnesee die Propaganda-Verzierungen anfertigte. An der kurzen Seite des Hauses ist außerdem eine Teufelsfratze zu sehen. Sie soll den britischen Premierminister Winston Churchill symbolisieren. „Aus seinem Munde qualmt die Flamme des Giftes und der Zerstörung. Sie ist gleichsam der Befehl für die britischen Flugzeuge, die wir über den Kanal fliegen sehen. Das Feuer ist durch einen gierigen Drachen dargestellt“, wie es 1941 im NS-gleichgeschalteten Soester-Anzeiger heißt. Der Schriftsteller Erwin Sylvanus nennt es in dem Beitrag weiter „ein Dokument […] unseres Aufbauwillens gegen die kul­turzerstörenden Kräfte Englands“.

Das Hakenkreuz überstand nach der Kapitulation Deutschlands auch die Direktive Nr. 30 von 1946. Diese sah unter anderem vor, dass NS-Symbole entfernt werden mussten, es sei denn, sie waren von großer architektonischer Bedeutung.Als Haus Kuhfuß 1992 einen neuen Anstrich bekam, entschied man, das Hakenkreuz zwar bestehen zu lassen, es aber nicht wieder zu vergolden. Rund zehn Jahre später sollte das Haus erneut gestrichen werden – dieses Mal allerdings originalgetreu. Fortan prangte das NS-Symbol wieder golden am Balken. Und damit begannen emotionale Diskussionen über die Zukunft des Zeichens. Schlussendlich einigten sich die Streitparteien: Das Hakenkreuz solle bleiben, aber wieder dunkel gestrichen werden.

Solche Schnitzereien wie im Balkenfries des Geschäftshauses in Soest sind kein Einzelfall. Vielerorts finden sich solch stille Zeugen des Nationalsozialismus – auf Wänden und an Giebeln, aber auch auf alten Möbeln.

Noch heute steht der Spruch der Hitlerjugend „Wir Jungen haben die Aufgabe, neue Wege zu suchen und zu bahnen, und den Mut, sie zu gehen“ am Ballhof in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover. Der Vorplatz des Hauses war zu Zeiten Hitlers Bühne der...

Wer durch die Soester Innenstadt bummelt, dem fällt möglicherweise das „Haus am Kuhfuß“ am Markt auf. Doch die Besonderheit, die den Balken ziert, nehmen nur Wenige wahr.

In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1940 flogen britische Einheiten Angriffe auf die Stadt Soest. Mit Brandbomben zerstörten sie unter anderem das Haus an der Marktstraße 7. Trotz der Kriegswirren ­gelang es dem dort ansässigen Geschäftsmann Heinz Husemeyer, das Haus binnen eines Jahres wieder aufzubauen. Ob es auch seine Idee war, ein goldenes Hakenkreuz in die Mitte des Balkenfrieses zu schnitzen, ist nicht ausreichend belegt. Es ist nur bekannt, dass der Künstler Fritz Viegener (1888–1976) vom Möhnesee die Propaganda-Verzierungen anfertigte. An der kurzen Seite des Hauses ist außerdem eine Teufelsfratze zu sehen. Sie soll den britischen Premierminister Winston Churchill symbolisieren. „Aus seinem Munde qualmt die Flamme des Giftes und der Zerstörung. Sie ist gleichsam der Befehl für die britischen Flugzeuge, die wir über den Kanal fliegen sehen. Das Feuer ist durch einen gierigen Drachen dargestellt“, wie es 1941 im NS-gleichgeschalteten Soester-Anzeiger heißt. Der Schriftsteller Erwin Sylvanus nennt es in dem Beitrag weiter „ein Dokument […] unseres Aufbauwillens gegen die kul­turzerstörenden Kräfte Englands“.

Das Hakenkreuz überstand nach der Kapitulation Deutschlands auch die Direktive Nr. 30 von 1946. Diese sah unter anderem vor, dass NS-Symbole entfernt werden mussten, es sei denn, sie waren von großer architektonischer Bedeutung.Als Haus Kuhfuß 1992 einen neuen Anstrich bekam, entschied man, das Hakenkreuz zwar bestehen zu lassen, es aber nicht wieder zu vergolden. Rund zehn Jahre später sollte das Haus erneut gestrichen werden – dieses Mal allerdings originalgetreu. Fortan prangte das NS-Symbol wieder golden am Balken. Und damit begannen emotionale Diskussionen über die Zukunft des Zeichens. Schlussendlich einigten sich die Streitparteien: Das Hakenkreuz solle bleiben, aber wieder dunkel gestrichen werden.

Solche Schnitzereien wie im Balkenfries des Geschäftshauses in Soest sind kein Einzelfall. Vielerorts finden sich solch stille Zeugen des Nationalsozialismus – auf Wänden und an Giebeln, aber auch auf alten Möbeln.

Noch heute steht der Spruch der Hitlerjugend „Wir Jungen haben die Aufgabe, neue Wege zu suchen und zu bahnen, und den Mut, sie zu gehen“ am Ballhof in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover. Der Vorplatz des Hauses war zu Zeiten Hitlers Bühne der Jugend­organisation. Heute weist eine Tafel auf die wechselhafte Geschichte des Gemäuers hin. „Alles verdient eine historische Aufarbeitung und Kommentierung“, sagt Dr. Hans Hanke, ehemaliger wissenschaft­licher Referent der Denkmalpflege des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL). Denn so manch eine Fassade steht unter Denkmalschutz und darf nicht verändert werden. „Dennoch darf man stets die Frage stellen, wie sichtbar eine Inschrift oder ein Zeichen sein muss“, so der Experte. Eine gute Lösung hat seiner Meinung nach die Wirtin des ehemaligen SS-Gasthauses der Wewelsburg im Kreis Paderborn gefunden, das nach 1945 als Gaststätte geführt wurde. Sie hängte einfach Blumenschmuck über die zahlreichen Hakenkreuze im Innenraum. Die kaschierende Dekoration nimmt sie nur bei berechtigtem Interesse kurzzeitig ab.

Das NS-Regime hatte den Anspruch, in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens die nationalsozialistische Ideologie zu etablieren. Das galt auch für die christlichen Kirchen im Land. Noch heute findet man in manch einem Gotteshaus Zeichen, die auf diese Epoche hindeuten. Gerade solche, die zu jener Zeit neu errichtetet wurden, beheimateten nicht selten Glocken, die mit nationalsozialistischen Inschriften und Hakenkreuzen verziert sind.Als im Zweiten Weltkrieg die Rüstungsindustrie Metall benötigte, bediente man sich nach der „Metallmobilisierung“ aus der Bevölkerung auch der Kirchenglocken des Reiches. Insgesamt ließ Hitler während der Kriegsjahre etwa 102  500 Kirchenglocken abhängen und viele von ihnen einschmelzen. Dieses Schicksal ereilte auch zwei Glocken der niedersächsischen Kreuz-Kirche in Schweringen. Doch eine Glocke blieb in dem 1934 errichteten Gotteshaus hängen: Auf ihr prangte ein großes Hakenkreuz. Förmlich unsichtbar, verborgen im hohen Kirchturm, tat sie mehrere Jahrzehnte ihren Dienst und rief die Christen zum Gebet.

Gleiches galt für eine Glocke im pfälzischen Herxheim am Berg. Eher zufällig entdeckte 2017 eine Musiklehrerin die mit Hakenkreuz und nationalsozialistischer Inschrift versehene Glocke. Sie informierte die Lokalpresse und trat damit internationales Interesse los. Sogar die New York Times berichtete. Die US-amerikanischen Journalisten hinterfragten kritisch den Umgang der Bundesbürger mit ihrer Geschichte.

Die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) nahm die entfachte Diskus­sion zum Anlass, nachzu­forschen. In den bundesweit 14  000 Gemeinden fanden sie 22 solch „kontaminierter“ Glocken.

Im Rahmen der Berichterstattung über die Hitlerglocke im Turm der protestantischen Jakobskirche in Herxheim am Berg sagte der Kulturbeauftragte der EKD, Johann Hinrich Claussen: „Kirchengemeinden tun gut daran, offen, klar und deutlich dieses Thema anzusprechen.“ Relikte aus der NS-Zeit in kirchlichen Räumen sollten nicht verschwiegen werden. Vielmehr solle man, wenn es nicht möglich sei, den Gegenstand mit NS-Vergangenheit aus kirchlichen Räumen zu entfernen, selbstkritisch und distanziert über ihn informieren. Es lässt sich darüber streiten, ob eine Glocke entfernt werden kann oder nicht. Daher stellte die evangelische Kirche in Mitteldeutschland ihren Gemeinden frei, wie sie mit ihren Naziglocken verfahren wollten. Sie konnten sie austauschen, abnehmen oder ins Museum bringen. Die Gemeinden durften die Glocken auch einschmelzen und neu gießen lassen. Oder sie konnten sie einfach nicht mehr läuten, eine Gedenk­tafel anbringen oder die nationalsozialistischen Aufschriften abschleifen. Viele der Handlungsempfehlungen hatten jedoch ein und dasselbe Ziel: Die Elemente der Nazi-Zeit entfernen.

Während einige Gläubige nicht länger von einer Naziglocke zum Gebet gerufen werden wollten, ­sahen andere sie als Mahnmal der Geschichte. In Herxheim ist bis heute keine endgültige Entscheidung über den Verbleib der „Vaterlandsglocke“ getroffen. Eine Bürgerinitiative scheiterte mit einer Klage bei Gericht und Appellen an die Landeskirche, die Glocke abzuhängen.

Kontrovers waren auch die Debatten im niedersächsischen Schweringen. Sie gipfelte darin, dass Unbe­kannte heimlich den Winkelschleifer ansetzten und die NS-­Elemente abfrästen. Solche Vor­fälle beobachtet Denkmalpfleger Hans Hanke überwiegend im städtischen Raum: „Inschriften an Kriegerdenkmälern werden anonym zerstört oder übersprüht, Figuren gestürzt oder beschädigt.“ Doch kann die deutsche Vergangenheit mit einem Schleifgerät oder einem Eimer Farbe bereinigt werden?

Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges: „Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.“ Gerade vor diesem Hintergrund hält auch Denkmalpfleger Hans Hanke eine Kommentierung der stillen Zeitzeugen für sinnvoll, vor allem aber für wertvoller als sie einfach zu entfernen.

Er versteht auch die Sorge von Privatpersonen, deren Häuser nationalsozialistische Zeichen tragen: „Dort veranstaltet die rechte Szene Fackelaufmärsche und sonstige Huldigungen.“ Wenngleich ihm so etwas aus dem ländlichen Raum nur vereinzelt bekannt ist, empfiehlt er auch hier, Symbole und ­Inschriften mit kleinen Tafeln geschichtlich einzuordnen.

Eine derartige Tafel sucht der Besucher am Haus Kuhfuß in Soest vergebens. Zwar wissen Eingeweihte um die Existenz des Hakenkreuzes im Balken, doch fällt es dem eiligen Passanten im Vorübergehen nicht auf. Ob das aber Grund genug sein sollte, auf eine Einordnung zu verzichten, das ist und bleibt die Frage.

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